Samstag, 14. Juli 2012

Ein belgischer Zwangsarbeiter kehrt nach Betzingen zurück
























Zurück in Betzingen 1951. Evrard an der Betzinger Kirche, links BeKa und Textil-Diener, hinten die Bruck und das Haus vom "Vorder-Gottlob"Der Belgier Evrard Celestin war in den Jahren 1944 und 1945 als Zwangsarbeiter bei der Firma Heim, die Tragflächen für die V1 herstellte "beschäftigt". Hier eine Karte, die er aus der Gefangenschaft schrieb. Untergebracht war er während dieser Zeit in einer der 4 oder 5 Baracken auf der Karlshöhe. Evrard Celestin ist heute wahrscheinlich der einzige noch lebende Zeitzeuge aus jener unglückseligen Betzinger Zeit, als man hier Teile für Massenvernichtungswaffen herstellte. Im Jahr 1951 unternahm er eine Reise zusammen mit seiner Frau, um 6 Jahre später wieder den Ort seiner Gefangenschaft zu besuchen. Es gab allerdings das Lager auf der Karlshöhe bereits nicht mehr. Man hat sich wohl sehr beeilt, das Lager verschwinden zu lassen. Evrard berichtet, dass "neue große Häuser" dort gebaut wurden als er 1951 wieder nach Betzingen kam - die Eberhard-Wildermuth-Siedlung.
























Evrards Frau in der Straße Im Dorf, die damals noch gepflastert war.

Über seinen Stiefsohn Marc Simal konnte ich einiges über das Leben im Lager und die Arbeit bei der Fa. Heim erfahren. Die Baracken auf der Karlshöhe waren überfüllt - etwa 80 Menschen in einer Baracke - und sie wurden auch im Winter nicht geheizt, die hygienischen Zustände waren schrecklich. Essen gab es nur unzureichend, der Lagerkommandant Walz führte dort ein sehr hartes Regiment. Er hatte auch in der Firma Heim das Sagen und die Aufsicht über die Arbeiter. Es kam im Lager auch zu Erschießungen - Evrard kann sich an ca. 10 oder 12 Fälle erinnern. Manche starben auch infolge der Kälte und des Hungers oder einfach aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustandes oder infolge von Krankheiten. Diese Verstorbenen seien unweit des Lagers in einem Massengrab beigesetzt worden. Er ist der Meinung, dass die Betzinger gar nicht wissen, dass es ein solches Grab (wahrscheinlich noch) gibt.

Besonders gut erinnert sich Evrard Celestin an den Betzinger Ochsen und an den Ochsenbrunnen. Dort zog die Kolonne der Zwangsarbeiter täglich vorbei auf ihrem Weg vom Lager zur Firma Heim. Je nach Aufsichtspersonal steckte der Metzger Leibssle den Gefangenen etwas aus seiner Wurstküche zu. Auch zwei jüngere Frauen aus diesem Haus steckten immer wieder den Arbeitern heimlich etwas zu. Man soll doch, falls noch jemand aus der Metzgersfamilie lebt, dies erzählen und seinen Dank übermitteln - auch noch nach fast 70 Jahren. Dies ist Herrn Celestin sehr wichtig.

Frau Celestin am Ochsenbrunnen und vor der Gaststätte und Metzgerei "Zum Ochsen"














































Evrard vor der Betzinger Meisterschule Im WasenDie meisten "Westarbeiter" waren privilegierter als die "Ostarbeiter", die in der Hauptsache aus Polen oder Russland stammten. Sie waren deshalb in der Regel in der Betzinger Meisterschule, in Gasthöfen oder sogar bei Familien untergebracht und nur selten im Lager an der Karlshöhe. Dass E.C. anstatt in der Meisterschule im Lager interniert war, erklärt er sich dadurch, dass er als "politischer Gefangener" galt, weil er bei einer Art belgischer "Resistance" war. Diese wurden grundsätzlich schlechter behandelt.

Evrard Celestin wurde in Betzingen zu den verschiedensten Arbeiten herangezogen. Bei der Fa. Heim zum Tragflächenbau und zu Transportarbeiten vom und zum Betzinger Bahnhof, von wo aus die V1 Tragflächen in die unterirdischen Produktionsanlagen Dora-Mittelbau, eine Außenstelle des KZ Buchenwald, gebracht wurden. Er wurde jedoch auch außerhalb der Fa. Heim eingesetzt z.B. zu Baumfällarbeiten, zu Arbeiten in einem Sägewerk (weiß jemand, wo das gewesen sein könnte? Es sei nicht weit vom Lager entfernt gewesen, etwa eine halbe Stunde zu Fuß) und zu Lösch- und Aufräumungsarbeiten in Reutlingen nach den Bombenangriffen auf die Stadt. Zudem stellte die Firma Wilhelm Heim Evrard Celestin auch zum Bau des Frankonenstollens in Reutlingen mehrfach ab.

Der Lageraufseher Walz sei am 20. April 1945 beim Einmarsch der Franzosen von einem französischen Offizier erschossen worden, berichtet Evrard. In der Tat kamen die Franzosen über die Karlshöhe nach Betzingen. Nach Zeitzeugenberichten hielten sie sich längere Zeit auf der Anhöhe auf, bevor man sich entschloss, nach Betzingen einzumarschieren - wahrscheinlich um erst mal die Lage zu sondieren, ob mit Kampfhandlungen zu rechnen ist etc. Vermutlich ist während dieses Aufenthaltes das Lager entdeckt und Walz erschossen worden. Man findet allerdings in der Literatur zum 20. 4. 1945 über den Einmarsch der Franzosen in Betzingen so weit mir bekannt ist keinen Hinweis darauf.

BildeRTanzquelle Marc Simal

4 Kommentare:

  1. Da geb ich dir recht...
    war erst kürzlich in Dora-Mittelbau....
    ....ohne worte ....

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  2. Macht sehr betroffen , dieser Bericht.
    Aber wiederum auch positiv:
    Klasse, dass es Kontakte gibt zwischen dem Schwiegersohn und Ihnen.
    Und ich hoffe es findet sich jemand der das "Dankeschön" an die Metzgerei Leibssle weitergibt.

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    1. Berichtigung : Nicht Schwiegersohn sondern Stiefsohn !

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