Samstag, 22. Januar 2022

Über 160 Jahre Bäckerei Tradition geht in Betzingen zu Ende

 Ende Januar 2022 schließt die Schwane ihre Pforten. Die Bäckerei, das Cafe und das Hotel wird es dann nicht mehr geben. „Es sind die letzten Mutscheln die ich backe“, meint Bäckermeister Rudolf Sauer mit etwas Wehmut in der Stimme. Es ist der Vorabend des Reutlinger Mutscheltages, das bedeutet Mehrarbeit in der Backstube für ihn und seinen Gesellen, der dort bereits seine Lehre gemacht und zwischenzeitlich 35 Jahre in der Schwane beschäftigt ist, ein noch früherer Arbeitsbeginn als ohnehin. Zudem werden sich im Cafe diverse Mutschelrunden einfinden. Wie unzählige Male zuvor in der langen Geschichte der Schwane.

Der Ursprung der Schwane geht auf das Jahr 1860 zurück. Im Februar diesen Jahres erhält Johannes Sauer, der Urgroßvater des heutigen Schwanen Betreibers seinen Meisterbrief im Bäckerei Handwerk und eröffnet eine Bäckerei und Wirtschaft im Wasen 4. Er betreibt sie zusammen mit seiner Frau Margarethe geb. Kurz. Diese Bäckerei Im Wasen befindet sich nur wenige Schritte entfernt vom heutigen Standort der Schwane. Der Platz, auf dem die Schwane etliche Jahre später entstehen sollte, war unbebaut und wurde von Johannes Sauer als Holzlagerplatz für seinen Backofen genutzt. Zudem betrieb er dort im Sommer eine Gartenwirtschaft.

 Im Januar 1900 wurde in der Steinachstraße 1 Holzlagerplatz und Gartenwirtschaft aufgegeben und die Bäckerei und Wirtschaft „Zum Schwan“ gebaut und im Dezember 1900 erstmalig eröffnet und vom jüngsten Sohn August Sauer und dessen Frau Christine geb. Leibßle über Jahrzehnte hinweg weitergeführt. August Sauer ist der Großvater von Rudolf Sauer.

 Infolge des Zweiten Weltkrieges wurde die Bäckerei von 1944 – 1948 an das Ehepaar Wolf verpachtet. In der Wirtschaft produzierte die Firma Walz.

 Nach der Heimkehr 1948 und nach einer Umschulung vom Schriftsetzer zum Bäcker übernimmt Fritz Sauer zusammen mit seiner Frau Helene geb. Kunberger im Jahr 1952 das Geschäft. Diese Umschulung war nötig geworden, weil der Zwillingsbruder, der eigentlich die Schwane hätte übernehmen sollen, nicht mehr aus dem Krieg zurückkehrte. Fritz Sauer führte die Schwane mit Cafe und Hotel bis 1984.

 Nach Ablegung der Meisterprüfung 1980 übernimmt Rudolf Sauer 1984 das Geschäft zusammen mit seiner Frau Andrea geb. Beddies. Das Bäckerhandwerk hat Rudolf Sauer in der Reutlinger Bäckerei Reicherter erlernt. Zudem ist er auch Konditor, gelernt hat er dieses Handwerk im Cafe Buck in Urach. 

 

 Die Schwane war mehr als „nur“ eine Bäckerei mit Cafe und Hotel. Sie war auch jahrzehntelang ein wichtiges Kommunikationszentrum in Betzingen. Der Stammtisch am Sonntagabend in der Schwane war für etliche enorm wichtig, hier wurden oft fundamentale Betzinger Angelegenheiten „verkartet“, regional und überregional politisiert, Meinungen und Ansichten ausgetauscht. Das Cafe stand auch für freudige, aber auch für traurige Anlässe für die Betzinger zur Verfügung. Manch „runder“ Geburtstag wurde dort fröhlich gefeiert, leider traf man sich auch oft genug für Zusammenkünfte nach Beerdigungen. Der Weg vom Betzinger Friedhof zur Schwane ist ja ein kurzer. 

 

                  

 Die Schwane war auch seit 1912, als die Reutlinger Straßenbahnlinie Reutlingen-Eningen eröffnet wurde, Endstation dieser Linie. Seit diesem Jahr wurden Monatsfahrkarten für die Straßenbahn in der Bäckerei Schwane verkauft. Zum 100-jährigen Jubiläum dieses Fahrkartenverkaufs installierte der Betzinger Straßenbahnexperte Wolf-Rüdiger Gassmann in den Schaufenstern der Schwane eine kleine Dokumentation  zu 100 Jahre Fahrschein Verkauf. Von 1912 bis 1967 wurden Monatskarten für die Straßenbahn verkauft, ab 1967 als die Straßenbahnlinie 1 nach Betzingen abgeschafft wurde, wurden dann in der Schwane Tickets für die Busse der RSV verkauft. Dies ist bis heute so geblieben und es wird wohl nicht sehr viele Monatskartenverkaufsstellen geben, die dieses Geschäft über 100 Jahre lang betrieben haben.

Offizielle Endstation der Straßenbahnlinie 1 war die Schwane allerdings gar nie, obwohl die Betzinger ausschließlich gesagt haben „wir fahren bis zur Schwane“ oder z.B. bei geplanten Albvereinsausflügen „wir steigen bei der Schwane in die Straßenbahn und fahren bis Eningen“. Der Endpunkt der Linie 1 hieß offiziell „Kirche“ und genau so stand es auch auf den Straßenbahntickets, denn Haltestellen durften nicht nach privaten Gebäuden benannt werden. Den Betzingern war das egal, für sie hieß die Endstation entgegen der offiziellen Bezeichnung stets „Schwane“.

So wie für das Fahrkartenjubiläum die Schaufenster der Schwane genutzt wurden, wurden auch mal andere nicht backwarenbezogene Dinge gezeigt. Rudolf Sauer, in seiner Freizeit begeisteter Modelleisenbahner, konnte dann auch schon mal eine tief verschneite Winterlandschaft mit Lokomotive und Waggons aufbauen. Ein Blickfang für Kinder und Kunden.

Das Kapitel Schwane endet zu Ende des Monats. Ebenso die vier Generationen lange Bäcker Dynastie der Sauers. Das Haus ist verkauft. Die genauen Pläne des neuen Besitzers kennen Rudolf und Andrea Sauer nicht, insbesondere nicht ob eventuell eine neue Bäckerei dort einziehen wird. Sehr viel müsste neu gemacht bzw. neu angeschafft werden, angefangen vom Backofen bis hin zu den Teigmaschinen. Wenn auch die weitere Nutzung des Hauses noch unklar ist, sicher ist, dass es als ortsbildprägendes Gebäude dem Stadtbezirk Betzingen erhalten bleibt und das ist gut so. Schwane, Bruck und Kirche, dieses Betzinger Ensemble gibt es in unzähligen Abbildungen, Malereien und Fotografien. Das soll auch weiterhin so bleiben.

 Und was machen die neuen Ruheständler Rudolf und Andrea Sauer, wenn die letzte Mutschel gebacken, die letzte Brezel geschlungen und im Laden der letzte Kimmicher und das letzte Brot und das letzte Stück Kuchen verkauft ist? Auf beide Neu-Rentner wartet erst mal eine Menge Arbeit, denn das neue Heim in den Betzinger Bruckäckern muss erst her- und eingerichtet werden. Wenn dies alles geschafft ist, könnten sich die beiden einen Urlaub vorstellen. Am liebsten in Form einer längeren Radreise.


BildeRTanzquelle Werner Früh


 


 

 

 

 

                                                                                                                         

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